Wurde in der Vergangenheit die Kurtaxe zu Unrecht besteuert?

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Der BFH hat am 28.03.2024 zwei wegweisende Entscheidungen zur umsatzsteuerlichen Einordnung der Kurtaxe veröffentlicht, die in der Praxis mit Spannung erwartet wurden und nun Handlungsbedarf hervorrufen.

BFH-Urteil vom 18.10.2023 - XI R 21/23

Im zu entscheidenden Verfahren wurde die Frage behandelt, ob die Bereitstellung von Kureinrichtungen durch eine Gemeinde als entgeltliche Leistung im Sinne des Umsatzsteuergesetzes (UStG) und der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) betrachtet werden kann. Die Klägerin, eine Gemeinde und anerkannter heilklimatischer Luftkurort, erhob von Besuchern, die sich in der Gemeinde aufhielten, eine Kurtaxe. Diese Taxe wurde erhoben, um die Kosten für die Herstellung und Unterhaltung von Kureinrichtungen und die Durchführung von Veranstaltungen zu decken. Die Einrichtungen waren jedoch allen Personen, auch denen, die nicht kurtaxepflichtig waren, frei und unentgeltlich zugänglich.

Der Kern des Streits lag darin, ob diese Aktivitäten der Gemeinde als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen sind, die einen Anspruch auf Vorsteuerabzug begründen würden. Die Gemeinde vertrat die Ansicht, dass die Erhebung der Kurtaxe als Entgelt für ihre umsatzsteuerpflichtige Tätigkeit anzusehen sei und beantragte den Vorsteuerabzug aus allen Eingangsleistungen, die mit dem Fremdenverkehr verbunden waren.

Das Finanzamt hatte im Rahmen einer Außenprüfung die umfangreichen Vorsteuerabzüge abgelehnt, da es der Auffassung war, dass die Tätigkeiten der Gemeinde nicht als unternehmerische Tätigkeit im Sinne der Umsatzsteuergesetzgebung anzusehen seien. Besonders bei Einrichtungen, die für die Allgemeinheit frei zugänglich waren und nicht speziell für Kurgäste bereitgestellt wurden, verneinte das Finanzamt die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs. Das Finanzgericht Baden-Württemberg bestätigte diese Sichtweise und wies die Klage der Gemeinde ab, indem es feststellte, dass keine direkte Verbindung zwischen der Erhebung der Kurtaxe und einer spezifischen unternehmerischen Leistung der Gemeinde bestand (Urteil vom 18.10.2018 – 1 K 1458/18). Das Gericht argumentierte, dass die Gemeinde durch die Erhebung der Kurtaxe und die Bereitstellung der Einrichtungen nicht als Unternehmerin gehandelt habe, da die Einrichtungen ohnehin allen Personen frei zur Verfügung standen.

Der Bundesfinanzhof bestätigte die Entscheidung des Finanzgerichts, nachdem es die Rechtsfrage dem EuGH mit Beschluss vom 15.12.2021 – XI R 30/19 - zur Entscheidung vorgelegt hatte. Der BFH verwies in seiner Entscheidung auf das daraufhin ergangene Urteil des EuGH vom 13.07.2023 – C-344/22 - das klarstellte, dass die Bereitstellung von Kureinrichtungen durch eine Gemeinde keine entgeltliche Leistung darstellt, wenn diese Einrichtungen für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich sind und die Kurtaxe unabhängig von der Nutzung dieser Einrichtungen erhoben wird.

Somit wurde entschieden, dass die Gemeinde keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuerrechts ausgeübt hat, da die Kurtaxe nicht spezifisch für die Nutzung der Kureinrichtungen erhoben wurde, sondern an den Aufenthalt im Gemeindegebiet gekoppelt war. Daraus folgte, dass die Gemeinde keinen Anspruch auf Vorsteuerabzug für die mit den Kureinrichtungen verbundenen Eingangsleistungen hatte.

BFH-Urteil vom 06.12.2023 - XI R 33/21

In diesem Verfahren stand auch die umsatzsteuerliche Bewertung der Kurtaxe im Fokus, da der Vorsteuerabzug begehrt wurde. Die Gemeinde, gelegen auf einer Insel mit eigenen Strandabschnitten, betreibt einen Kurbetrieb, der durch Kurtaxe und Tourismusabgabe finanziert wird. Aus den Werbekosten wurde bisher vollständig die Vorsteuer abgezogen, da angenommen wurde, dass diese Kosten ausschließlich der wirtschaftlichen Tätigkeit des Kurbetriebs dienen.

Das Finanzamt entschied, dass ein Teil der Werbekosten auf nichtwirtschaftliche Tätigkeiten der Gemeinde entfällt, wodurch der Vorsteuerabzug nur anteilig zulässig ist. Es wurde vorgeschlagen, die Aufteilung der Vorsteuer nach dem Verhältnis der Einnahmen aus der Fremdenverkehrsabgabe zur Summe der Fremdenverkehrs- und Kurtaxe zu berechnen. Das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht gab der Klage statt, da es die Werbekosten als vollständig der wirtschaftlichen Tätigkeit des Kurbetriebs zugehörig ansah (Urteil vom 29.09.2021 – 4 K 118/18).

Der BFH hob das Urteil des Finanzgerichts auf und verwies den Fall zur erneuten Prüfung zurück an das Finanzgericht. Dabei soll geklärt werden, inwieweit die Fremdenverkehrsabgabe bei der Vorsteueraufteilung zu berücksichtigen ist und ob die unentgeltliche Überlassung von Kureinrichtungen an Einwohner als nichtwirtschaftliche Tätigkeit berücksichtigt werden muss. Das Gericht betonte, dass die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde in die Beurteilung einbezogen werden muss, einschließlich der Umsätze außerhalb des Kurbetriebs (Vermögensverwaltung und Beistandsleistungen).

Praxishinweise

Beide Urteile machen deutlich, dass es für die richtige Bewertung umsatzsteuerrechtlichen Fragen zum Teil auf geringfügige Unterschiede im Sachverhalt ankommt. Aber auch, dass der BFH zur Entscheidungsfindung losgelöst von der Verwaltungsauffassung Überlegungen anstellt, die den Prozessbeteiligten und auch dem Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht bisher nicht in den Sinn gekommen sind. Bei umsatzsteuerrechtlichen Fragestellungen sollte daher vorab gründlich geprüft werden, ob ein Klageverfahren vorteilhaft ist.

Inhaltlich ergibt sich aus den Urteilen Handlungsbedarf, unabhängig davon, ob ein Vorsteuerüberhang besteht oder nicht. Wenn der Vorsteuerabzug den Umsatzsteuerbetrag nicht übersteigt, ergibt sich ein Erstattungspotenzial für vergangene Veranlagungszeiträume. Die Rechtsauffassung des BFH gilt auch für die Vergangenheit, da die Urteile eine Auslegung bestehenden Rechts darstellen. Hierbei wird auch eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Rechtsprechung zu § 14c UStG möglicherweise unausweichlich sein. Im umgekehrten Fall wären die finanziellen Auswirkungen der Rechtsprechung zu prüfen, da ein Vorsteuerüberhang wegfallen kann.

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Autor*in dieses Artikels:

Marcel Baumgart

Steuerberater,
Dipl.-Wirtschaftsjurist (FH),
Fachberater für Unter­nehmens­nach­folge (DStV e.V.)

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